Ursula Prinz, Kuratorin Berlinische Galerie, 1982:
«Anne Jud ist ursprünglich Objekte-Macherin. Seit 1976 beschäftigt sie sich immer wieder mit der Dollar-Note, die sie auf eine Brille klebt, auf einen Hut, auf Schuhe, aus der sie Kleidungsstücke fertigt oder ein Badezimmer tapeziert.
Warum ausgerechnet der Dollar? Es könnte vielleicht auch die D-Mark sein. Die Bedeutung des Geldes als die Gesellschaft und damit den Menschen bestimmende Instanz kann aber gerade der immer noch die Weltwirtschaft beherrschende Dollar am besten symbolisieren. Das gesellschaftskritische Moment, das in der Verwendung der Dollarnote durchaus enthalten ist, tritt bei Anne Jud jedoch nicht aufdringlich in den Vordergrund, sondern versteckt sich eher hinter einer sehr heiteren und hintergründigen Ironie.
Die Objekte wirken für sich allein, werden aber auch zu Aktionen benutzt. Dabei spielen die Geldscheine formal eine wesentliche Rolle. Sie strukturieren das Bild und die Handlung. Sie stecken den Rahmen ab und das, was geschieht.
Gerade in jüngster Zeit geht die Arbeit von Anne Jud immer mehr vom Bildlichen fort und in den Raum hinein. Ganz bewusst bezieht sie sich auf den jeweiligen Umraum. Objekt, Licht, Bewegung und Musik bilden eine Einheit, die auf die gesamte Umgebung Einfluss nimmt. Diese Umgebung ist nicht immer nur der reale Raum, wie z.B. bei der Aktion in der leeren Diskothek «SO 36», die Anne Jud allein und ohne Zuschauer, nur für die Kamera sichtbar aufführt, sondern auch öffentlicher Raum, wie bei der Aktion «Öffentliches Wohnen», als sie in einem auf der Strasse in Kreuzberg improvisierten Wohnzimmer öffentlich Kaffee trank und dadurch heftige Proteste auslöste.
Die Provokation ist ein wesentliches Merkmal der Aktionen. Sie wird nicht durch Aggressivität oder andere grelle Effekte ausgelöst, sondern gerade durch das Gegenteil, durch die Einförmigkeit und Langsamkeit, mit der Anne Jud zum Beispiel durch den Dollarnoten-Gang schreitet, durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie in ihrem mit Dollars beklebten Schuhen über den Kuhfürstendamm geht, durch die Friedlichkeit ihres «öffentlichen Wohnens». Wichtig ist hierfür auch die Dauer der Aktion, denn erst nach einer Weile kommt die Reaktion des Betrachters: der Protest, das Nachdenken oder das Verstehen.
Es gibt auch Aktionen, an denen mehrere Personen beteiligt sind. Ausgehend wieder von einem Dollar-«Bild», einem Dollar-Objekt – in diesem Falle einer Augenbinde – entwickelt sich das Geschehen. Im Dollarrahmen steht eine Figur mit Dollarmaske und schiesst pantomimisch mit einem Revolver, andere «schiessen» zurück, indem sie die Person im Bild fotografieren. Die Beteiligten tauschen ihre Rollen aus. Hier sind die Bestandteile der Kunst an Anne Jud vereint: Bild, Objekt, Raumbezogenheit, öffentlicher Raum und Provokation durch Repetition und Dauer. Die Austauschbarkeit der Agierenden wird hier besonders deutlich gemacht.
Es geht nicht um Individuen, sondern um allgemeine Gegebenheiten, die bestimmte Situationen hervorrufen und die, nahezu spielerisch dargestellt, zur Selbsterkenntnis des Einzelnen gerade im Exemplarischen beitragen können. Immer werden Unfreiheiten des Menschen aufgezeigt, Schwierigkeiten, zu sein und sich ohne Zwang zu bewegen, einfach lebendig zu sein, und die Konzentration, derer es bedarf, sich der Situation bewusst zu werden und darin zu handeln.»
Zeitungsartikel
- Zeitungsartikel zum Film «Anna und Anne»
- Zeitungsartikel zur Gruppenausstellung «Letzte Lockerung»
- Zeitungsartikel zur Performance «Karo»
- Sonstige Zeitungsartikel
- Anne Jud: «Sommerpause» und «Öffentliches Wohnen»
- Neu in der Sammlung Haupt, Berlin
- Ausstellung von Claudia Skoda
- Stiftung und Sponsoring